Auf Hans und Brigitte kann man zählen - Ein Tag mit dem letzten Bündner Pferdepöstler

Zeitungsbericht von Peter Sprecher (1983)

Die jüngsten sind sie beide nicht mehr, weder der 1909 geborene Hans Engi noch seine 16jährige Brigitte. Trotzdem kann man nach wie vor auf den letzten Bündner Pferdepöstler und seinen Fuchs zählen. Werktag für Werktag bringen sie die Post von Valendas Dorf im Bündner Vorderrheintal zu den fast 1300 Meter über Meer gelegen Weilern Dutjen und Turisch. Ist das im Sommer eine oft mühsame «Bergtour», so kann diese im Winter zu einem gefährlichen Abenteuer werden. Zumindest war es bisher so, als nur ein sehr steiler, holpriger Weg zu den beiden Fraktionen von Valendas führte. Zurzeit sind die letzten Arbeiten an einem auch mit dem Auto befahrbaren Strässchen im Gange.
Fleiss brennt die Juli-Sonne auf den Dorfplatz von Valendas. Fast zu heiss für den 74jährigen Hans Engi, der vor seinem Haus die wie immer sauber geputzte Stute Brigitte ans leichte Pneuleiterwägelchen spannt. Nachdem er seine Stirne mit Wasser aus dem Dorfbrunnen etwas abgekühlt hat, führt der frühere Landwirt sein Pferd die paar Schritte bis zur Post.

Rasch sind der von Posthalter Weibel mit dem Auto von der Station der Rhätischen Bahn herauf gefahrene Postsack auf dem Wägelchen und eine Handvoll Briefe und Zeitungen in der Posttasche verstaut. Pünktlich um Viertel vor zwei Uhr setzt sich Pferdenarr Engi, so bezeichnet er sich selbst, auf den Bock und setzt seine Brigitte mit einem fröhlich-gemütlichen Hü in Marsch. Stramm schreitet der Fuchs auf der Strasse bergan, die vorerst über saftige Bergweiden führt. Der Blick des Pöstlers streift zurück auf sein Valendas mit den vielen schönen Patrizierhäusern. Bald wird der Weg steiler und Brigittes Gang langsamer. Als der «Gaul» zum dritten Mal eine Ruhepause einschaltet, klettert Hans Engi vom Bock. «Mit der Peitsche antreiben mag ich sie nicht», meint der Altgemeinderat und führt Brigitte durch den Wald hinauf seinem Ziel entgegen.

 

dutjen


Mit einem Vorsprung von zehn Minuten auf seine «Marschtabelle» meldet sich ein müder. aber zufriedener Hans Engi kurz vor halb sechs auf der Post Valendas zurück. In der Zwischenzeit hat er in Turisch, wo er aufgewachsen ist und seine Familie die frühere Poststelle betreute, neben seinem Bruder zwei weitere Kunden bedient. Die heraufgeführte Post hat er verteilt und was fortspediert werden soll, in der Tasche verstaut. In Dutjen,  wo noch um die zehn Häuser bewohnt sind, händigt er Postbesorgerin Barbara Oswald einen Postsack aus. Frau Oswald besorgt die Verteilung und sammelt auch die abgehenden Briefe, Pakete und Einzahlungen für den Pferdepöstler ein. Früher hat dieser für die Leute von Turisch und Dutjen, die ohne tägliche Post wohl schon lange weggezogen wären, im einzigen Kaufladen von Valendas auch die Kommissionen gemacht. Heute werden die benötigten Waren jedoch meist einmal pro Woche mit dem Auto im Tal geholt. Nachdem der Fahrpöstler sein Pferd in den Stall gebracht und dort wie immer vorzüglich „versorgt" hat, setzt er sich noch ein Viertelstündchen in die Wirtschaft zum Brunnen.

Den Wanderern, die sich zu ihm gesellen, berichtet er mit Stolz, dass schon sein Grossvater und sein Vater die Post nach den beiden Weilern brachten. Dann habe er, mal gemeinsam, mal abwechslungsweise, das Amt mit seinem Bruder versehen. „ Bis ich am 1.August 1954 die Stelle allein übernahm, hat man die Post, oft bis 20 Kilogramm, meist gebuckelt und nur in Ausnahmefällen das Ross eingesetzt. Seither mache ich die Tour immer mit dem Pferd." Nur ungern erinnert sich Hans Engi daran, wie er einmal mit dem Gespann in eine Lawine geriet. Erst nach stundenlanger Arbeit konnte das Pferd, „es steckte bis zum Grind im Schnee", befreit werden. Auch denkt der Bündner nicht gern daran, wie eines seiner Rosse ausgerechnet an der heikelsten Stelle einen „Kreuzschlag“ erlitt und ins Tobel fiel.

Am Abend lässt sich der stets zu einem Spass aufgelegte Engi, der seit 1958 Witwer ist, gerne in der sauberen Wohnung vom Fernseher unterhalten, von dem er zwar lange Zeit nichts wissen wollte. Am liebsten hat er etwas Volkstümliches, „natürlich vom Peter Zinsli, der aus Valendas stammt". Und wenn es nichts zu sehen gibt, bereitet er seinen zweiten Kanada-Abstecher vor. Nachdem der Pferdepöstler von Valendas bereits letztes Jahr auf der ersten Auslandsreise seines Lebens "dort unten, wo es maximal ist" weilte, besuchte er seine mit einem Berner Oberländer verheiratete Tochter und deren Familie auch diesen Spätsommer wieder. Doch bevor er zur „Oberländer Farm“, anderthalb Stunden von Montreal entfernt, aufbricht, will Hans Engi sich noch von seiner anderen Tochter in Chur verabschieden, muss mit Posthalter Weibel noch die Stellvertretung bis ins Detail regeln und mit seinem Dragoner-Freund Jakob Caveng den „Ferienaufenthalt“ von Brigitte in Ilanz besprechen.

Und wenn er wieder zurück im Bündnerland sein wird? „Dann werde ich weiter die Post besorgen, so lange ich mag“, meint Hans Engi, dessen Vater 95 Jahre alt wurde. „Das ist zwar keine Existenz, aber ein guter Nebenverdienst“. Die PTT hat dem im Akkord, also ohne Ferien und Pension beschäftigten, kernigen Mann zugesichert, dass an der Pferdepost so lange nicht gerüttelt wird, als er den Dienst versehen will. Ob es später einmal dank dem neuen Strässchen auch im Winter mit dem Auto gehen mag, wird sich zeigen müssen. „Vorläufig sind Brigitte und ich noch da“.

 

 

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